Jürgen Nott, CEO von Infinigon, lebt und arbeitet seit 2005 in New York City und findet im Alltag von „Big Apple“ immer wieder überraschende Parallelen zur Makro-Ökonomie, über die er hier berichtet.
Debt Ceiling – Wird der weiße Elefant zum schwarzen Schwan?
Die USA hat ein 31.38 Billionen USD-Problem.
Dabei handelt es sich um die Defizitgrenze, die im Sommer angehoben werden muss, damit ein Zahlungsausfall der USA verhindert wird. Es geht dabei nicht um die Finanzierung von neuen Schulden, sondern lediglich um die Zahlung bereits bestehender und beschlossener Verbindlichkeiten.
Aktuell gehen die Märkte davon aus, dass den USA im August das Geld ausgehen wird; Moodys hat die Prognose bereits von August auf Juni korrigiert. Es könnte also auch schon früher der Fall sein. Entscheidend sind hier die Steuereinkünfte und da sieht es bisher eher bescheiden aus. Die US-Steuerbehörde (IRS) hat laut CNN lediglich 56 % der geplanten Steuern bisher vereinnahmt.
Das Problem ist bekannt – und dennoch ein schwarzer Schwan?
Wir haben in den letzten Wochen unser Netzwerk in den USA genutzt, um nachzufragen, inwieweit die Anhebung des Schuldenlimits ein Risiko sein könnte. Ich habe mich in New York mit Mitarbeiter von Banken, Analysten sowie Asset Manager aus den Bereichen Private Debt, Private Equity und Direct Lending getroffen.
Fast ohne Ausnahme wird davon ausgegangen, dass es auch dieses Mal eine Einigung gibt. Ich wurde teilweise sogar mit großen Augen angesehen, wie ich mir dazu Gedanken machen könnte. Wahrscheinlich hat sich der ein oder andere gedacht – „typisch deutscher Pessimismus und versteht nichts davon, wie es in Washington abläuft?”.
Warum „Schwarzer Schwan“? – … fast kein Marktteilnehmer stuft das Risiko als real ein.
Warum könnte es dieses Mal anders sein?
Bisher war es auch in Washington so, dass sich am Ende das Wohl der USA sowie rationale Überlegungen durchgesetzt haben. Seit einigen Jahren hat allerdings die Zahl der Politiker in Washington, denen man unterstellen kann eine ideologische Politik über Sachpolitik zu stellen, deutlich zugenommen. Beispiele sind z.B.:
George Santos. Ein Republikaner, der nachweislich über einen gefälschten Lebenslauf in den Kongress gewählt wurde und immer noch dort sitzt, weil offensichtlich Macht über Werte zu stehen scheint.
Dann gibt es noch eine Gruppe von 20 ultrakonservativen Republikanern, die ihre Macht bereits bei der Wahl des Haussprechers Kevin McCarthey haben spielen lassen: er brauchte 15 Anläufe, um von deren Gnaden gewählt zu werden – mit erheblichen Zugeständnissen an diese Gruppe (unter anderem kann ein einzelner Abgeordneter eine Neuwahl des Haussprechers beantragen).
Die Herausforderungen und damit die Probleme liegen darin, dass:
• Sowohl die Republikaner sich uneins sind – McCarthey hat seinen Vorschlag zur Verhandlung des Schuldenlimits mit einer denkbar knappen Mehrheit von 2 Stimmen durchgebracht
• Die Mehrheit der Republikaner im „House of Representatives“ mit 222 Republikanern zu 213 Demokraten sehr knapp ist
• Sich im Senat 51 Demokraten 49 Republikanern gegenüberstehen
Das Risiko liegt darin, dass innerhalb der Republikaner des „House of Representatives“ und im Senat die Mehrheiten knapp sind. Das gibt auf den verschiedensten Ebenen einzelnen Abgeordneten enorme Macht gegenüber ihrer eigenen Partei, oder auch der anderen Partei Beschlüsse zu verhindern.
Dies, gepaart mit einer größeren Anzahl Politiker, denen man unterstellen darf, dass sie ideologische Prioritäten und/oder skrupellosen Machterhalt vor vernünftige Sachpolitik und das Wohl des Landes stellen, ist das Risiko, dass es dieses Mal anders sein könnte als bisher.
Dazu kommt noch – egal was passiert – es geht immer auf die Uhr des amtierenden Präsidenten; die Gelegenheit ein Desaster anzuzetteln, um es Joe Biden anzuhängen.
Bin ich in der Sache noch zu sehr der pessimistische Schwabe und sehe das Glas halbleer – oder sind die Amerikaner in dem Fall zu optimistisch?
Entscheiden Sie selbst – Ihre Meinung dazu ist so gut wie jede andere.